Prostitution: Shutdown bewegt nicht zum Ausstieg
Die Möglichkeiten des Gesetzgebers bieten kaum Alternativen, ist die Erfahrung von Tanja Wöhrle und Maren Kuwertz von der Beratungsstelle Ela.
Prostitution: Shutdown bewegt nicht zum Ausstieg. Die Möglichkeiten des Gesetzgebers bieten kaum Alternativen, ist die Erfahrung von Tanja Wöhrle und Maren Kuwertz von der Ulmer Beratungsstelle für Frauen in Prostitution Ela. (von Ulrike Schleicher, 28.09.2020, SWP Ulm)
In Stuttgart sind Prostituierte im August auf die Straße gegangen. Mit Plakaten, auf denen etwa „Rotlicht an“zu lesen war. Oder auch: „Wir wollen selbstbestimmt leben.“Und in Mannheim hat die Beratungsstelle „Amalia“Überlebenspakete an die Frauen verteilt. In Ulm dagegen ist das Problem – wie fast überall – keines, das an die Öffentlichkeit getragen wird. „Es ist ja schwer für die Frauen, sich zu outen“, gibt Tanja Wöhrle von Ela, der Beratungsstelle für Frauen in Prostitution, zu bedenken.
Natürlich sind jedoch auch hier zahlreiche Frauen von der Schließung der 24 Laufhäuser und Bordelle wegen der Pandemie seit dem 16. März betroffen, sagen Wöhrle und ihre Kollegin Maren Kuwertz. „Diejenigen, die es vor der Schließung der Grenzen nicht zurück in ihre Heimat geschafft haben, befinden sich inzwischen in existentiellen Notlagen.“
Finanzielle Hilfen eingeschränkt
Das sei bitter, denn die Frauen, die ansonsten Steuern zahlten, seien schließlich unverschuldet in diese Situation geraten und nun kümmere sich kaum jemand um sie, sagt Wöhrle, die sich mit ihrer Kollegin schon früh an die Betroffenen gewandt und über mögliche Hilfen informiert hat. Allerdings sei die finanzielle Unterstützung beschränkt. Demnach hat der Berufsverbands für erotische und sexuelle Dienstleistungen (Besd) zu Beginn des Lockdown jeder Frau „unkompliziert und ohne Nachweis“einen Betrag ausgezahlt. Auch die Diakonie Baden etwa habe Frauen aus dem Topf eines Nothilfefonds unterstützt. Ein Tropfen auf dem heißen Stein: „Auf Dauer kann man damit Miete und Lebensunterhalt nicht bestreiten“, sagt Wöhrle.
Die beiden Sozialarbeiterinnen, die seit rund drei Jahren unter dem Dach der Aidshilfe für die Frauen in Ulm zuständig sind, versuchen so gut es geht, auch in diesen Zeiten und trotz hoher Fluktuation den Kontakt zu den Frauen zu halten. „In den kleineren Betrieben etwa können einige wohnen“, weiß Kuwertz. Andere seien mutmaßlich bei Freiern untergekommen. Letzteres ist eine Variante, die den Fachfrauen Sorgen bereitet: „In so einer Situation können Abhängigkeiten entstehen – die Frauen bezahlen mit ihrem Körper.“
Dass die Sexarbeiterinnen die erzwungene Pause nutzen, um die Prostitution hinter sich zu lassen, ist unter den Bedingungen, die hier herrschen in den Augen der beiden Sozialpädagoginnen eine Illusion. Abgesehen davon, dass jede eine individuelle Lösung brauche – „sie haben alle ihre Geschichte“– seien die bürokratischen Hürden einfach zu hoch. Ein Beispiel sei der Antrag auf Arbeitslosengeld, sagt Kuwertz. Generell bestehe die Möglichkeit, dass die Frauen Arbeitslosengeld II (Alg) beantragen. Mit diesem Geld (420 Euro) könnten die Frauen leben, die Miete werde übernommen. Aber: „Sie müssen einen Wohnsitz, einen Arbeitsvertrag und eine Krankenversicherung nachweisen“, ergänzt Wöhrle.
Vor allem Letzteres ist der Knackpunkt. Die meisten sind nicht krankenversichert und würden es auch nicht wollen, weil die Beiträge in Deutschland so hoch sind. Außerdem forderten manche Krankenkassen Nachzahlungen für den gesamten Vorversicherungszeitraum, wissen die beiden. Das, obwohl die Frauen daraus ja keinerlei Nutzen ziehen könnten. Und: „Sie müssen die Beiträge auch zahlen, wenn sie Alg II nicht mehr beziehen. „Das können sie sich ohnehin kaum leisten“, sagt Kuwertz. Gespräche mit dem Jobcenter und den Kassen waren erfolglos.
Ein anderer Hinderungsgrund, den Ausstieg zu schaffen, sind oft Sprachprobleme. „Viele können nur wenig Deutsch“, sagt Tanja Wöhrle. Übrig blieben deshalb Hilfsjobs, aber der Verdienst reiche nicht, um die Familie zu Hause zu unterstützen. Trotzdem: Eine Frau habe in den vergangenen Monaten den Ausstieg geschafft. Sie konnte etwas Deutsch.
Wie sich die Frauen über Wasser halten, darüber könne man nur spekulieren, so die Beraterinnen. Sicher sei jedoch, dass die Prostitution derzeit eher in die Illegalität abrutsche. Und was die Hygiene betreffe, so „wären Bordelle auf jeden Fall sicherer und transparenter“, sagt Wöhrle. Schon allein deshalb wäre eine Öffnung wünschenswert.
Bericht in der Südwest Presse Ulm vom 28 September 2020 von Ulrike Schleicher
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