Corona weckte bei HIV-Positiven dunkle Erinnerungen
Welt-Aids-Tag: Wichtige Fakten sind vielen Menschen unbekannt, das zeigt eine aktuelle Umfrage. Die Pandemie hat indes auch Auswirkungen und Infizierte und auf die Arbeit der hiesigen Aidshilfe
VON SEBASTIAN MAYR Neu-Ulmer Zeitung, 01.12.2020
Ulm Im Frühjahr hat sich Michael Diederich an die 80er- und 90er- Jahre erinnert. An die Vorurteile, die Ausgrenzungen. Diederich, 45 Jahre alt, ist Bluter. Durch ein verunreinigtes Blutpräparat hat er sich als Kind mit HIV und Hepatitis C infiziert. Das war in einer Zeit, als über Aids und HIV wenig bekannt war. In einer Zeit, als die Menschen HIV-Positive schnitten und mieden. Dann kam Corona und Diederich hörte Berichte, dass manche Menschen die Straßenseite wechseln, wenn sie Pfleger oder Klinikpersonal trafen. „Da hab ich mir schon meine Gedanken gemacht: Hoppla, das hat es doch schon mal gegeben“, erzählt der Ulmer. Zum Glück, sagt Diederich, hätten sich seine Sorgen aus der Anfangszeit der Pandemie nicht bewahrheitet. Mobbing und Diskriminierung habe es wohl – trotz aller Unsicherheit – nicht gegeben. Anders als bei Aids in den 80er- und 90er-Jahren. Und auch wenn diese Zeit der Ausgrenzung vorbei ist: Die Deutsche Aidshilfe warnt, dass das Wissen über Virus und Krankheit in der Bevölkerung nach wie vor gering ist. Nur 18 Prozent der Menschen wissen einer Umfrage aus dem April 2020 zufolge, dass das Aids auslösende HI-Virus unter Therapie nicht übertragbar ist – auch nicht bei ungeschütztem Sex. Zum Welt- Aids-Tag am 1. Dezember weist die Ulmer Aidshilfe auf diese Erkenntnisse hin.
Der Ulmer Arzt Dr. Georg Härter arbeitet in der Ansteckungs-Prophylaxe. Rund 100 Menschen bekommen von ihm das antivirale Medikament PrEP verschrieben. Die meisten sind Männer, die Sex mit Männern haben. Die Tabletten, die oral eingenommen werden, senken das Risiko, sich beim ungeschützten Sex mit HIV anzustecken, auf fast null. Andere Geschlechtskrankheiten wie Tripper oder Syphilis würden aber trotzdem übertragen, erläutert Härter. Er habe während des Lockdowns im Frühjahr merklich weniger PrEP-Patienten gehabt, sagt der Arzt. Im Sommer sei die Zahl von Menschen, die sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten angesteckt haben, spürbar gestiegen. „Nach der langen Dürre“, formuliert er mit Blick auf die Kontaktbeschränkungen. Eine Corona-Infektion wirke sich bei HIV-Positiven vermutlich nicht aus, berichtet Härter.
Dennoch seien Therapie und Prophylaxe auch während der Pandemie und des Lockdowns unverändert wichtig. Bei anderen Krankheiten, zum Beispiel Herzerkrankungen, hätten Studien bereits gezeigt: Dass manche Menschen aus Angst vor Corona Krankenhäuser gemieden hätten, habe schwere gesundheitliche Probleme und Todesfälle verursacht. Das solle bei HIV und Aids nicht passieren. Tanja Wöhrle, die als Beraterin bei der Ulmer Aidshilfe arbeitet, hat Vergleichbares beobachtet: Weil die persönlichen Treffen zunächst durch Telefongespräche ersetzt wurden, nahmen manche Erkrankte,
die auch andere Probleme haben, ihre Medikamente nicht mehr regelmäßig ein. Wöhrle berichtet auch, dass nicht nur Diederich zu Beginn der Pandemie an Zeiten dachte, in denen HIV und Aids noch viel stärker stigmatisiert wurden als heute: „Unsere älteren Erkrankten fühlten sich an die Anfangszeit von HIV erinnert“, schildert sie. Die Pandemie hat manches verändert, auch für Aidskranke, HIVPositive und die Ulmer Aidshilfe. Das zeigt sich nicht nur bei jetzt nötigen Voranmeldungen für die 14-tägigen Testabende sowie bei den üblich gewordenen Hygienekonzepten und Abstandsregelungen. Das Gesundheitsamt im Alb-Donau-Kreis stellte wegen der hohen Belastung die Aidstests ein, die Nachfrage bei der Aidshilfe in der Ulmer Furttenbachstraße 14 nahe dem Ehinger Tor stieg. Das Gesundheitsamt des Landkreises Neu- Ulm nimmt dagegen weiterhin Aidstests vor – aber keine Tests weiterer sexuell übertragbarer Krankheiten. Michael Diederich, der sich als Achtjähriger infiziert hat, hat inzwischen eine zweijährige Tochter, von der er gerne erzählt. Auch, um zu zeigen, wie normal sein Leben trotz HIV inzwischen geworden ist. Vor einer Corona-Infektion nimmt er
sich in Acht, er hält alle Schutzmaßnahmen sorgsam ein. „Ich möchte nicht zusätzlich noch ein Virus haben“, sagt er.
Termine Heute, 1. Dezember, findet um 17.30 Uhr ein Gottesdienst zum Welt-Aids-Tag im Chorraum des Hauses der Begegnung in Ulm statt. Am 2. und am 9. Dezember gibt es von 18 bis 20 Uhr Testabende in der Furttenbachstraße 14. In Heidenheim und an der Ulmer Spitalhofschule werden Mitmachparcours zum Thema Aids veranstaltet.
Weitere Infos zum Artikel und zur Augsburger Allgemeinen finden Sie unter diesem Link.
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